„User Experience – das Einzige, wofür Kunden heute noch Geld ausgeben“

User Experience – der unterschätzte Wettbewerbsturbo: Hannes Robier über die Schaffung von Value, die Steiermark als zu technikzentriertes Land und warum UX-Designer die idealen Problemlöser für die großen Menschheitsfragen sind.
Digitalisierung F&E IT
Word Usability Congress: 11. - 13. Oktober 2022 in Graz
Initiator und Mastermind: Hannes Robier

Usability? User Experience? UX? Unterschiedliche Begriffe, aber ein gemeinsamer Kern. „Im Wesentlichen geht es um Design, das den Nutzer in den Fokus stellt. Daher trifft’s Human centered Design am besten“, erklärt Hannes Robier, Gründer von youpsi Consulting und Organisator des jährlichen Word Usability Congress. Im Expertentalk räumt Robier gleich zu Beginn mit zwei Mythen auf. „Design meint hier nicht Grafikdesign, sondern den ursprünglichen Design-Begriff: Etwas so zu gestalten, dass es funktioniert und für die Zielgruppe einen Nutzen erbringt.“ Mythos zwei: UX ist nicht aufs Digitale beschränkt. Robier: „Viele denken bei User Experience automatisch an Webdesign. Das ist nur ein kleiner Teil – UX umfasst analog und digital, Produkte ebenso wie Dienstleistungen, geht aber noch viel weiter und schließt sogar die Stadtteilentwicklung oder den Straßenverkehr mit ein. Denn auch Verkehrsteilnehmer sind Nutzer eines ,Betriebssystems‘, das möglichst in deren Sinne ausgestaltet sein sollte.“

„Das ist der entscheidende Punkt: UX-Designer denken immer ganzheitlich – das ist ihre Stärke“, ergänzt Thomas Bayer, Head of Product Management & Design bei Anton Paar. „Human centered Design ist gewissermaßen über allen Einzeldisziplinen der Produktentwicklung und -gestaltung angesiedelt. Das Ziel in der Umsetzung ist ein Ergebnis, das zu 100 Prozent den User im Fokus hat“, so Bayer. „Die Grundfrage ist ja immer: Wie können wir ein Problem des Kunden lösen? Was müssen wir liefern, damit die Mitarbeiter unserer Kunden ihren Job beim Messen von Flüssigkeiten besser machen können?“

Entscheidend sei dafür bereits der Start des Designprozesses. „Am Beginn braucht es eine umfassende Analyse der Umgebung des Nutzers – erst müssen wir verstehen und beobachten, oft in Form von Tiefeninterviews mit den späteren Anwendern. Erst danach kann der eigentliche Designprozess starten.“

Schließlich stehe einiges auf dem Spiel. Es gehe bei UX um nichts Geringeres als um den Erfolg eines Produkts und die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens, sind sich Robier und Bayer einig. „UX erhöht den Value eines Produkts“, wird Robier konkret. „Und dieser Value – der Mehrwert – ist das Einzige, wofür ein Kunde heute noch bereit ist, mehr Geld auszugeben – ansonsten zahlt er nicht mehr als die Produktionskosten.“
Ein Mehrwert, der auch auf das Employer Branding eines Unternehmens wirkt. „Usability-optimierte Produkte machen die Arbeitsplätze bei den Kunden attraktiver – Stichwort New Work. Je benutzerfreundlicher die Betriebsmittel einer Firma, desto lieber gehen Mitarbeiter arbeiten.“ Bayer: „Ziel eines Produzenten im B2B-Bereich muss es sein, dass der Value der Produkte so hoch ist, dass Mitarbeiter sich überhaupt nur bei einer Firma bewerben, wenn sie mit einer bestimmten Marke arbeitet. Zudem bemerken wir einen Wandel. Früher haben Kunden Messgeräte nach dem Datenblatt eingekauft – also nach der Summe der technischen Details plus dem Preis. Heute spielt die Usability – sie steht nicht auf dem Datenblatt – eine immer größere Rolle in unserem Business.“

Das „Bessere“ kommunizieren

Das bessere Produkt als der Feind des guten – wird es automatisch zum Selbstläufer? „Nein, von selbst funktioniert das meist nicht. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, betont Hannes Robier. „Der Value muss klar kommuniziert und verständlich gemacht werden – sonst kann es passieren, dass das neue Produkt nicht angenommen wird, auch wenn es objektive Vorteile aufweist. Dieses Sichtbarmachen des Value ist eine wesentliche Säule von UX-Design. Daher müssen wir den Nutzern auch optimale Bedienungsanleitungen, Marketingmaterialien oder Serviceschnittstellen mitliefern.“
Bayer: „Wenn Nutzer etwa bei einem neuen Messgerät statt bisher sieben Knöpfe nur zwei drücken müssen, kann es trotzdem sein, dass sie mit Widerstand reagieren, weil sie sich nicht umgewöhnen wollen. Unsere Aufgabe ist dann, sie dabei zu unterstützen, ein neues mentales Modell zu kreieren, das ihnen den Umstieg erleichtert.“

Die Steiermark als Technikland

Generell sei das Bewusstsein für die Bedeutung von UX – bestätigen beiden Experten –hierzulande noch viel zu gering ausgeprägt. „Die Steiermark ist ein Technikland. In vielen Unternehmen wird immer noch viel zu technikzentriert gedacht“, so Bayer. Robier: „Viele steirische Firmen sind am Weltmarkt zwar erfolgreich, aber mit mehr Verständnis für einen ganzheitlichen Designansatz wäre noch viel mehr möglich. Daher müssen wir alle daran arbeiten, dem Thema mehr Gehör zu verschaffen.“

„Wir sind alle in unseren Betrieben gefordert, die Chancen von UX-Design stärker aufzuzeigen“, so Bayer, dem die Sensibilisierung für das Thema im Unternehmen Anton Paar gelang. „Um wirklich Schwung hineinzubringen, ist es wichtig, die oberste Managementebene zu überzeugen. Bei vielen Unternehmen herrscht immer noch die Vorstellung, Design wäre ein Hipster-Thema für ausgewählte Branchen – ein Trugschluss. UX schafft gerade im B2B-Bereich einen entscheidenden Mehrwert.“ Robier: „Ich bin sicher, dass künftig eigene CDO – Chief Design Officer – in den Unternehmen agieren werden. Besonders fortschrittliche Unternehmen haben diese Funktion bereits geschaffen. Hierzulande haben wir auch das Problem, dass viel zu wenig UX-Designer ausgebildet werden.“

Auch was das Zukunftsthema Nummer eins – Nachhaltigkeit und Klimaschutz – betrifft, führe keinen Weg an UX-Designern vorbei, sind sich die beiden Experten sicher. „Wer Human Centered Design ernst nimmt, hat das holistische Denken in seiner DNA verankert. Dank ihrer ganzheitlichen Herangehensweise verfügen Designer sowohl über das Mindset als auch das Toolset, um in einer komplexer werdenden Welt optimale Lösungen für wichtige Menschheitsfragen zu gestalten.“