Fingerschinder: Mit straffem Innovationsmuskel zum Welterfolg

Wenn eine innovative Low-Tech-Idee, höchster Designanspruch und geballtes handwerkliches Know-how einen Bestseller für (Kletter-)Sportbegeisterte schaffen: Außergewöhnliche Trainingsgeräte aus Holz der Marke „Fingerschinder“ gehen von Passail aus in die ganze Welt.
F&E Holz Produktdesign
Jakob Glasner

Manchmal passt einfach das Timing. Und ein straff gespannter Innovationsmuskel zur rechten Zeit kann Enormes bewegen. So auch im Fall einer Produktentwicklung des steirischen Designers Jakob Glasner und der Tischlerei Fadenberger aus Passail, die mit der Produktlinie „Fingerschinder“ nicht nur perfektes Marktgespür bewiesen, sondern auch das Zeitgeschehen auf ihrer Seite hatten.

Zur Vorgeschichte: Jakob Glasner, seit Jahren begeisterter Kletterer, erkannte ein Problem und suchte nach der Lösung. „An einem kalten Novembertag war ich zum Bouldern in St. Radegund, fand dort aber keine geeignete Möglichkeit zum Aufwärmen im Freien“, so der damalige Student an der Universität für angewandte Kunst Wien. „Ich dachte mir, ein mobiles Gerät für Sportkletterer zum Aufwärmen oder Trainieren seiner Finger, das man überallhin mitnehmen kann und sich auch perfekt als Trainingsgerät für Zuhause eignet – so etwas fehlt. Eine echte Marktlücke“, so Glasner, der noch am selben Tag daheim im Keller mit einem Holzleisten erste Experimente unternahm.

„Der anhaltende Fitnessboom kommt uns sehr zugute – ob Cross-Fit oder Ninja Warrior, die Menschen lieben es, ihre Körper durch Räume zu bewegen und brauchen dafür gut trainierte Finger.“
Jakob Glasner

Zwei Jahre feilte er am Konzept, ehe er mit zwei Tischlereien aus der Region – Tischlerei Fadenberger und Tischlerei Deutscher (Betrieb aufgrund Pensionierung mittlerweile eingestellt) – an der Serienproduktion des fertigen Prototyps arbeitete. „Das Ergebnis war eine echte Weltneuheit: ein mobiles Hangboard für zwei Hände“, betont Glasner. Der Clou an dem Produkt: „Es ist leicht, minimalistisch im Design, ortsunabhängig verwendbar und höchst effektiv für das Training von Sportkletterern“, so der Grazer. Mittels Einschubleisten können die Kantengrößen rasch variiert werden – zwischen 24 und 9 mm (der Bereich, wo man sich mit den Fingern einhängt), zudem erlaubt die Verknotung des Befestigungsseils, unterschiedliche Neigungen zu simulieren. Die Folge: Der „Fingerschinder“ wurde rasch zu einem Verkaufserfolg, befeuert durch Berichte in einschlägigen Blogs und Online-Foren. Regelrecht explodiert ist die Nachfrage ab März 2020. „Das Frühjahr ist die Jahreszeit, in der die Auslastung für Tischlereien traditionell schwach ist“, erinnert sich Tischlermeister Konrad Fadenberger. „Dazu kam der erste Lockdown, der die Leute vom Tischlereibesuch abhielt. Und genau zu dieser Zeit hatten wir das perfekte Produkt für Menschen, die die Quarantäne nutzen wollten, um zuhause zu trainieren – ein echter Glücksfall.“ Eine Flut an Bestellungen erreichte die Tischlerei Fadenberger – aus aller Welt. „In 64 Länder haben wir bereits geliefert“, erzählt Glasner. Längst gehe die Zielgruppe über Sportkletterer hinaus. „Der anhaltende Fitnessboom kommt uns sehr zugute – ob Cross-Fit oder Ninja Warrior, die Menschen lieben es, ihre Körper durch Räume zu bewegen und brauchen dafür gut trainierte Finger.“

Aktuelle Neuentwicklung: VariBar

Einziger Wermutstropfen der Erfolgsgeschichte: Nachahmer in unterschiedlichen Ländern, vor allem in China, sind auf den Zug aufgesprungen und brachten Nachbau-Produkte auf den Markt. „Trotz minderwertiger Qualität finden diese aufgrund der Dumpingpreise ihre Abnehmer“, so Glasner, der mit Innovationsgeist kontert. Mittlerweile ist „Fingerschinder“ zu einer Produktfamilie angewachsen – neben dem „Fingerschinder+“ und dem „Fingerschinder Mini“ umfasst die Linie auch die höchst erfolgreichen Turnringe „Fingerschinder pi r2“, die ein dreidimensionales Krafttraining ermöglichen und die Zielgruppe zusätzlich erweiterten. Glasner: „Mir ist wichtig, dass Fingerschinder Low-Tech bleibt – es sind Produkte für Generationen, die keinen Trends unterliegen und keine unnötigen Extras, Zusatzfeatures oder Apps benötigen. Im Mittelpunkt steht immer die Funktion sowie die Frage, wie diese mit minimalem Mitteleinsatz erfüllt werden kann.“

Das gilt auch für den neuesten Streich, der soeben erfolgte: die Markeinführung der „VariBar“, einer Klimmzug-Stange mit einem raffinierten, höhenverstellbaren Halterungssystem für Wand oder Türstock. „Für die Statik haben wir mit Experten der TU Graz zusammengearbeitet – damit ist das Training zuhause nicht nur effektiv, sondern auch absolut sicher“, betonen Jakob Glasner und Konrad Fadenberger. Für die erfolgreiche gemeinsame Entwicklung gewährte die SFG eine Innovationsförderung aus dem Programm „Ideen!Reich“. Damit der Innovationsmuskel auch weiterhin straff und gespannt bleibt.

Fingerschinder

Trainingsgeräte aus Holz, entwickelt von Jakob Glasner und produziert von der Tischlerei Fadenberger. Jakob Glasner ist ein international ausgezeichneter Produktdesigner, dessen Leidenschaft auch dem experimentellen Design gehört. Lebt und arbeitet in Graz. Tischlerei Fadenberger in Passail, geführt von Konrad Fadenberger, drei Mitarbeiter. Der Unternehmer sucht derzeit einen Betriebsnachfolger. Das Fingerschinder-Projekt unterstützt kleine Handwerksbetriebe mit innovativen Produktdesignideen. Die Trainingsgeräte können in absatzschwachen Zeiten vorgefertigt werden und helfen damit, Arbeitsplätze zu sichern.

Ideen!Reich

Innovationsförderung: für intelligente, sinnvolle & spritzige Ideen

Aus der EU-REKA-Serie: 4 Fragen an Jakob Glasner

COVID-19 hat das Arbeits- und Geschäftsleben völlig auf den Kopf gestellt. Viele Menschen haben deshalb den Schritt in die Selbstständigkeit gewählt. EU-REKA begleitet Personen am Weg ihrer Gründung in Form von Guidelines und Veranstaltungen. Die Inputs entstehen auf der europäischen Bühne des Projektkonsortiums. Gemeinsam werden internationale Best-Practices zu Hilfestellungen für regionale Gründerinnen und Gründer.

Was war Ihr „Schlüsselmoment“, in dem Sie beschlossen, sich selbstständig zu machen?

Es gibt so viele Produkte, die angesichts der klimatischen Herausforderungen in Zukunft anders gestaltet werden müssen. An diesen gemeinsam mit Partnern zu arbeiten, hat mich motiviert, aktiv zu werden.

Was war für Sie die größte Corona-Hürde im Gründungsprozess?

Prinzipiell habe ich die Zeit als Chance erlebt, neue Projekte zu entwickeln. Die Möglichkeiten, Ideen hinauszutragen, waren aber limitiert.

Was würden Sie Ihrem damaligen Gründungs-Ich aus heutiger Sicht raten?

Die Wirtschaftlichkeit jeder leidenschaftlichen Idee am Anfang zu prüfen.

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Fähigkeiten eines/r Selbstständigen?

Zielstrebigkeit und Reflexionsfähigkeit.

EU-REKA: Krisenzeiten als Turbo für Startups