„Die bisherigen Regeln gelten nicht mehr!“

Robert-Jan Smits, ehemaliger EU-Generaldirektor für Forschung und Innovation, spricht am Zukunftstag über die neue Weltordnung sowie Europas Weg zu Stabilität und Stärke: Ausblick auf eine Keynote, die für Aufmerksamkeit sorgen wird.
Robert-Jan Smits

Mr. Smits, die Welt ist „kein Dorf mehr“, lautet die Botschaft Ihrer Keynote?

Nein, sie ist kein Dorf mehr. Sie war es, und ich werde in Graz ausführlich erläutern, was die Grundlage dieses Dorfes war, welche Spielregeln galten und wie wir alle davon profitiert haben. Dann werden wir analysieren, warum das globale Dorf Vergangenheit ist: Welche Ereignisse haben es zu Fall gebracht? Was waren Dealbreaker? Drittens werde ich über die Modelle der Zukunft sprechen: Wie bleiben Regionen und Standorte wettbewerbsfähig, auf Innovations- und Wachstumskurs?

Wodurch hat sich die Weltordnung in den letzten Jahren so stark verändert?

Reißen wir das Thema kurz an, denn alles möchte ich noch nicht verraten. (lacht) Die erste große Disruption war die Finanzkrise, die Menschen weltweit vor Augen führte, welch enorme Risiken unser globales Finanzsystem neben all seinen Vorteilen mit sich bringt. Ein weiterer Schnitt war Covid-19, der uns unsere fatalen Abhängigkeiten von anderen Ländern wie China im Ernstfall bewusst machte: Wir erkannten, dass uns das Outsourcen kompletter Geschäftszweige im Ernstfall manövrierunfähig macht. Dann begann der Krieg in der Ukraine – eine echte Zäsur: Hatte man bisher angenommen, es gäbe eine Art globales Handelsverhältnis – Geld gegen Ware, in diesem Fall: Geld gegen Gas – dann machte Russland jetzt deutlich, dass diese Verträge keine Versicherung gegen kriegerische Auseinandersetzungen mehr darstellen. Dazu kam Trump, der der Welt mit seinen Zöllen den Krieg erklärte. Das bisherige Regelwerk ist Geschichte.

Global minds, local moves

Zukunftstag 2025

Welche Regeln gelten jetzt?

Das bisherige globale System fußte auf Vertrauen, Kooperation und gemeinsamen Zielen. Damit ist es vorbei. Wir sehen, wie schwach die Weltorganisationen geworden sind: die WHO, die Vereinten Nationen, der International Monetary Fund (IMF) – sie alle verlieren an Einfluss und Wirkkraft. Nachdem die Grundlage für gemeinsame internationale Politik nicht mehr gegeben ist, gilt jetzt das Recht des Stärkeren: Wer hat mehr Militärmacht, mehr politische Dominanz, mehr „Muskeln“. Eine völlig neue Weltordnung.

Sie definieren das als Paradigmenwechsel?

Exakt. Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel: Die Vereinigten Staaten haben wir bisher in der Wirtschaft, der Wissenschaft oder in militärischen Fragen als verlässlichen Partner betrachtet. Nun ist nicht einmal mehr die Rechtssicherheit unserer europäischen Wissenschaftsdaten gegeben, die bei Google, Amazon und Co in der Cloud liegen. Die US-Amerikaner zählen zu jenen, die das globale Dorf aktiv unterwandern. Das ist ein Schock für Europa. Wir werden künftig sehr sorgfältig auswählen, mit wem wir zusammenarbeiten. Vor allem aber müssen wir innerhalb Europas kooperieren.

Wie reagiert die Wirtschaft bislang auf neuen Rahmenbedingungen?

Überall auf der Welt überdenken und adaptieren Konzerne ihre Globalisierungsstrategien. Europäische Unternehmen holen die ausgelagerte Produktion zurück auf den Kontinent, oft in die Region. Sie wollen mit verlässlichen, sicheren Partnern zusammenarbeiten und finden diese in der Nähe: Kooperationen auf regionaler Ebene kommt also eine völlig neue Rolle zu. Das schließt Regierungen, Universitäten, Institutionen und natürlich die arbeitenden Menschen mit ein. Wir haben Top-Notch-Talente in Europa! Wenn wir uns in der Region zusammenschließen, gewinnen alle – genauso, wenn wir in ganz Europa stärker zusammenarbeiten.

Das Modell, das uns in Zukunft trägt?

Ja! Wir stehen am Beginn eines goldenen Zeitalters für regionale Innovations-Ökosysteme. Sie sind die Zukunftsmodelle der Zusammenarbeit innerhalb von und zwischen Europas Regionen. Diese Systeme tragen künftig als Basis den Wirtschaftsstandort. Unsere Aufgabe ist jetzt, sie proaktiv weiterzuentwickeln, damit sie kraftvoller, agiler und resilienter werden. Sie sind das Herz unserer Wettbewerbsfähigkeit.

Welche Regionen machen das bereits vor?

Sie in der Steiermark sind ein fantastisches Beispiel dafür: Ihre Clusterlandschaft unter Einbindung führender Großunternehmen, Ihr Modell der Kooperation zwischen Unternehmen, Wissenszentren, Universitäten, Hochschulen und Politik bzw. der öffentlichen Hand. Das gilt natürlich auch für andere Regionen Europas: Ich sehe das in Deutschland, in den deutschen Städten München und Dresden, ich sehe das im niederländischen Eindhoven, im französischen Grenoble und in Stockholm, Schweden. Sie merken: Diese Innovationsökosysteme existieren bereits. Wir sollten Sie beherzt weiter ausbauen, aber auch auf europäischer Ebene viel stärker untereinander vernetzen. Es gibt Überlegungen, Ihren Silicon-Alps-Cluster mit dem Silicon-Cluster in Eindhoven zu verbinden, mit dem der belgischen Stadt Löwen und mit den Pendants in Dresden und München. Die Halbleiterindustrie ist ein sehr gutes Beispiel für hochkarätige europäische Kompetenz.

Das heißt aber nicht, dass Kooperationen sich künftig auf Europa beschränken?

Nein. Es wird immer weltweite Zusammenarbeit geben, in der Wirtschaft und Wissenschaft und in der Politik, das sage ich ganz klar. Aber Menschen, Unternehmen und Universitäten agieren künftig viel selektiver. Sie werden nur mehr mit jenen Ländern, Unternehmen und Institutionen kooperieren, welche die gleichen Werte vertreten. Zusammenarbeit wird also auf gemeinsamen Wertvorstellungen basieren. Wer diese nicht teilt, wird kein Partner mehr werden, so einfach. Diesen Trend sehen wir momentan deutlich.

Welchen Beitrag kann die Europäische Union zur Stärkung der regionalen Ökosystemen leisten?

Ursula von der Leyen hat bereits vor einiger Zeit die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas als Strategie ausgerufen. Die EU anerkennt die regionalen Ökosysteme und unterstützt sie gezielt dabei, ihre Kompetenzen vor Ort auszubauen. Sie stellt strategische Programme sowie finanzielle Mittel bereit und hat damit ein wirkungsvolles Instrument in der Hand, um den gesamteuropäische Standort weiterzuentwickeln. Nie hatte die Europäische Kommission mehr Interesse an starken Regionen als jetzt.

Gleichzeitig gibt es interne Kritik am Bedeutungsverlust Europas – man habe sich von anderen Standorten den Rang ablaufen lassen. Haben Sie eine optimistische Antwort darauf?

Ich bin immer optimistisch! Europa stellt 7 Prozent der Weltbevölkerung und generiert immer noch ein Viertel des Wissens. Wir sind unheimlich stark, wenn wir uns zusammenschließen! Denken Sie an Airbus – ein wunderbares Beispiel für die Exzellenz europäischer Zusammenarbeit, hier schlägt uns keiner so schnell. Ein ähnliches Bild bietet die europäische Grundlagenforschung – etwa im Schweizerischen Cern –, die anderen Kontinenten sehr weit voraus ist. Wir sind tatsächlich ein Powerhouse der Innovation und des wirtschaftlichen Wachstums. Wir haben fantastische Ressourcen. Es ist nur die Frage, ob wir jetzt in die Gänge kommen und wie gut wir uns organisieren, die Bürokratie überwinden, weiter in Innovation investieren und an einem Strang ziehen. Alle Zutaten sind da. Wir müssen es nur auf die Reihe kriegen. Und das werden wir. Ich bin also sehr optimistisch. (lacht)

Robert-Jan Smits, geb. 1958, emeritierter Präsident der Technischen Universität Eindhoven, war acht Jahre lang Generaldirektor für Forschung und Innovation bei der Europäischen Kommission. Er zeichnet u. a. inhaltlich maßgeblich verantwortlich für die beiden Horizon-Forschungsprogramme (dotiert mit insgesamt 170 Milliarden Euro) und trägt zahlreiche internationale Ehrungen und Auszeichnungen für seinen Beitrag zu Wissenschaft und Innovation in Europa.